Es ist so viel passiert

Ich dachte wirklich, es wäre einfacher in einem Blog mein Leben mit meinem Mann zu beschreiben.
Es hat sich jedoch herausgestellt, dass mir einfach nur die Zeit fehlt, regelmäßig einen Beitrag zu schreiben. Und da sagt man immer Rentnerinnen haben Zeit. Haben sie wohl, unter normalen Umständen, auch.
Unser Leben war seit dem letzten Beitrag jedoch alles andere als normal. Wo fang ich nur an?
Das Testogel gab es nicht mehr. Einfach so, Lieferengpass, Produktionsfehler usw. Mein Mann, der ohnehin in einer schweren Depression gefangen war, sackte durch den nun echt nicht mehr messbaren Hormonspiegel ins Bodenlose.
Ein Termin bei der zuständigen Ärztin gab es nicht, weil sie, ebenfalls durch das fehlende Testogel ihrer Patienten, überfüllt war. Da war nicht mal mehr an einen Nottermin zu kommen.
Die Depression verstärkte sich, die Panikattacken kamen häufiger und heftiger und Angstzustände kamen hinzu. Ich habe wirklich hart daran gearbeitet, dass mein Mann nicht komplett zerbricht. Es ist mir auch gelungen.
Doch dann kam Corona.
Ein kleines Wort, dass so viel Angst und Schrecken verbreiten kann. Das so sehr die Geister der Welt trennt tauchte auf.
Natürlich habe ich mich darüber so genau informiert, wie es nur irgendwie möglich war. Und es stellte sich sehr zum Nachteil für uns heraus, dass wir beide zur Hochrisikogruppe gehören. Wir sind beide Lungenkrank, haben einige Autoimmunerkrankungen.
Super, dachte ich ironisch, nu haben wir den Salat.
Und meine schlimmsten Befürchtungen trafen alle ein. Die ganzen Fortschritte, die ich mit der Psyche meines Mannes erreicht habe, waren hinüber.
Wir konnten, wegen der Risiken für uns, nicht mehr schwimmen gehen, was meinem Mann so gut getan hatte. Wir konnten kaum mehr raus. Die Isolation tat ihr übriges.
Alles, wirklich alles, was wir erreicht hatten für ihn, war komplett hinüber.
Mein Mann bekam schon Angstzustände, an schlechten Tagen, wenn wir aus der Haustür raus wollten. Oft konnte er sich nicht überwinden, die Tür auch nur zu öffnen. Allein der Gedanke daran bescherte ihm Herzrasen und Schweißausbrüche. Also musste ich, zum Wohle meines Mannes, nun fast alle Wege alleine erledigen.
Manchmal bekam er heftige Panikattacken. So schlimm, dass der gelegentlich nicht einmal mehr wusste, wo er gerade war oder wie er nach Hause kommt. Ich hab ihn des öfteren von einem Termin unterwegs eingesammelt und nach Hause gebracht. Nach so einer Panikattacke hat er etwa ne Woche gebraucht sich davon zu erholen.
Mein Mann kapselte sich immer weiter von der Umwelt ab und vergaß. Eigentlich nahezu alles, was man vergessen konnte: Arzttermine, Behördentermine, Medikamente, Essen, Trinken, Worte usw.
Manche Dinge oder Gedanken haben ihn so verunsichert, dass alleine diese genügten, dass er zu zittern begann und in Tränen ausbrach.
Er war oft so erschöpft, dass er nicht einmal bemerkte, dass er müde ist. Das ist ein Unterschied Erschöpfung und Müdigkeit. Meistens dämmerte er Tage lang vor sich hin, war geistig oft abwesend und in sich gefangen.
Ich hab ihn täglich zur richtigen Zeit an das erinnert, was gerade nötig war. Ich hab ihn aus dem Bett geholt und ab und an, wenn es seine Seele zugelassen hat, sind wir eine Runde ums Haus gegangen. Anfangs war ihm sogar das zu viel und zehrte an seiner Seele.
Mit der Zeit zehrte das alles auch an meiner eigenen Kraft. Man kann unglaublich viel Kraft haben, wenn man seinem Partner helfen will. Aber auch diese Kraft geht irgendwann dem Ende zu.
So kam es, wie ich es zu verhindern versuchte. Mein Mann bekam Selbstmordgedanken. Und ich hatte nicht mehr genug Energie für uns beide.
Im Januar 2021 ging er freiwillig in die Psychiatrische Klinik weil sonst sicher ein Unglück passiert wäre. Dort wurde mein Mann neu mit Antidepressiva eingestellt. Er bekam noch zusätzlich Medikamente gegen die Panikattacken und Angstzustände und ein Notfallberuhigungsmittel.
Ich durfte ihn nicht besuchen. Nicht weil er in der Psychiatrie war, sondern wegen Corona. Das Risiko für ihn, als Lungenkranker, ist einfach viel zu hoch. So sahen wir uns täglich am Fenster der Klinik und sprachen übers Handy miteinander.
Nach einer Woche durfte oder sollte mein Mann mitten in der Medikamentenumstellung , weil er nicht mehr akut Suizidgefährdet war, nach Hause. Das Bett wurde für die Coronadepressiven gebraucht. Ihm wurde noch gesagt, dass ich seine Entscheidungen nicht mehr treffen sollte, wir einen festen Tagesrhythmus brauchen, er sich einen Therapeuten suchen soll und er nicht mehr so viel schlafen darf.
Zuerst fand ich das alles ziemlich sarkastisch: Unsere Medikamente bestimmen unseren Tagesablauf. Da können wir nicht einfach mal zwei Stunden schieben. Das würde uns den Boden unter den Füßen wegreißen.
Ich hatte die Entscheidungen für ihn getroffen, weil er nicht mehr in der Lage war sich auf eine Entscheidung zu fokussieren. Dann waren es viele Entscheidungen für ihn und die lösten Panik aus.
Wir suchen immer noch einen Therapeuten. Denn dank Corona sind alle Plätze mehr wie belegt.
Tolle Empfehlungen, dachte ich so bei mir. Aber- Ich wollte meinem Mann ja helfen- strukturierte ich weiter unser Leben. Stück für Stück.
Glaubt mir, das war anfangs alles andere als einfach. Aber wir haben es geschafft. Nach wenigen Wochen, hatte wir für nahezu alles feste Zeiten. Zuerst hab ich für alles einen Wecker gestellt: Aufstehen, Medis, Frühstück meines Mannes, meine Medis, Spazieren gehen, Einkaufen, Mittagessen usw. Glaubt mir, der Wecker hat oft geklingelt. Jedoch hat es geholfen. Irgendwann hatten wir die Zeiten verinnerlicht.
Ja auch ich. lach. Nun klingelt noch exakt drei Mal ein Wecker. Und das ist jedes Mal für die Medikamente. Wie oben erwähnt dürfen wir diese nicht schieben.
Noch während dieser Zeit wurde der Spaziergang zur Routine für uns. Dank der Coronabestimmungen dürfen wir, selbst im Lockdown, zur seelischen Erbauung einen Spaziergang machen. Wir müssen nur Abstand zu allen anderen halten. Dank der Angst vor fremden Menschen, die mein Mann entwickelt hatte, war das auch gar kein Problem.
Das Problem bestand eher darin, ihn aus der Wohnung zu bekommen. Und so fingen wir Schritt für Schritt an. Zuerst bis zum Müllraum. Der is ca 20 Meter weg. Das hört sich für euch vielleicht lächerlich an, aber mit einer chronischen Ischialgie, Angstzuständen und Panikattacken ist das für meinen Mann schrecklich gewesen. Stell dir vor, du würdest im schlimmsten Horrorfilm, den du kennst, spazieren gehen müssen. So in etwa war das für ihn.
Nachdem dies ohne Nennenswerte Anfälle ging, sind wir bis zum Ende unseres Wohnblocks gelaufen ( ca 100 Meter) Immer noch kein richtiger Spaziergang, ich weiß. Es war jedoch eine wahnsinnige Anstrengung von Nöten ihn erst einmal bis dahin zu bekommen.
Nach etwa 4 Wochen haben wir es geschafft, dass mein Mann einmal mit mir um den Wohnblock laufen könnte ohne Panik zu bekommen.
Nach etwa 3 Monaten konnten wir endlich in einen Park fahren um dort zu spazieren und die Gegend zu erkunden. Es war oft, sehr oft, sehr angsteinflößend für ihn. Ich war an seiner Seite und hab ihn beruhigt. Und wenn es nötig war, stand ich wie ein Fels zwischen ihm und der Welt um ihm Sicherheit zu vermitteln.
Auch die Empfehlung, dass mein Mann wieder seine Entscheidungen treffen muss, setzte ich Stück für Stück um. Das fing ganz klein an. Für euch Leser sicher lächerlich klein. Doch ich wusste, jede zu große Veränderung würde ihn fertig machen. Bei winzig kleinen bekam er zwar wirklich schlimme Angst, aber er erlebte, dass dies keine Folgen hatte. Zuerst waren das ganz winzige Entscheidungen: Nudeln oder Knödel, Wurst oder Käse, Milch oder Tee?
Erst als mein Mann diese Entscheidungen treffen konnte, ohne zu zittern und ohne dass er schlecht Luft bekam, kam der nächste Schritt. Was soll ich morgen kochen, wo gehen wir hin spazieren, welchen Film schauen wir heute?
Jede Veränderung brauchte Wochen bis sie keine Angst mehr auslöste. Im Sommer waren wir so weit, dass es mein Mann schaffte, mit mir endlich wieder schwimmen zu gehen. Mal ins Freibad, mal an die Donau.
Und es fanden weitere Veränderungen statt. Er schaffte es, Termin zu vereinbaren. Ok, ich saß immer noch daneben, weil ihn das beruhigte. Aber er hat selbst angerufen. Er hat die nötigen Worte dafür gefunden und wenn ich sah, dass er panisch wurde, sagte ich ihm nur, dass ich genau weiß, dass er es schaffen kann.
Was ab September 2021 passierte ist ein neuer Beitrag.

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